Sein Agent Gaëtan Voisard schwindelte letzte Woche noch ein wenig. Auf die entsprechende Frage, ob sein Klient André Heim tatsächlich vor einem Wechsel in die NHL stehe (Gewährsleute hatten den Transfer gemeldet): «Bis Mitte Saison gab es ein sehr starkes Interesse. Weil seine zweite Saisonhälfte weniger gut war, hat sich dieses Interesse merklich abgekühlt. Inzwischen gibt es drei Klubs, die ihn beobachten. Bei allen drei heisst es: Wir sind interessiert, aber wir wollen mal sehen, wie er sich bei der WM in Riga bewährt. Es wäre also gut, wenn er in Riga spielen würde.»
Da stand der bauernschlaue Jurassier bereits im Endstadium der Verhandlungen mit St. Louis für einen Einjahres-Vertrag. Nun ist der Wechsel offiziell bestätigt. Es spielte also keine Rolle, ob André Heim für die WM aufgeboten wird oder nicht (er ist nicht im WM-Team).
We have signed Andre Heim to a one-year entry-level contract. https://t.co/n7ZYemOi6z
— St. Louis Blues (@StLouisBlues) May 8, 2023
Nach Verteidiger Michael Fora und Dominik Kubalik beginnt nun auch für André Heim das Nordamerika-Abenteuer. Michael Fora hat es nicht geschafft und verteidigt heute in Davos. Dominik Kubalik ist in der NHL bereits Dollar-Millionär geworden.
Die Chancen von André Heim sind intakt. Eine seriöse Prognose ist nicht möglich: Zu viele Faktoren sind unberechenbar. Der Vertrag bis 2025 mit Ambri bleibt gültig. Kehrt André Heim aus Nordamerika zurück, dann kann er bis 2025 in der National League bei keinem anderen Klub als Ambri spielen.
Ambris Sportchef Paolo Duca bedauert – logisch – den Abgang seines besten Schweizer Mittelstürmers. Einen gleichwertigen Ersatz kann er für die nächste Saison nicht finden. «Aber wir beobachten den Markt sowieso ständig. Im Idealfall finden wir wieder einen talentierten jungen Spieler, der bei uns bessere Möglichkeiten zur Entwicklung sieht als bei seinem bisherigen Klub.»
Auf jeden Fall hat Ambri seinen Ruf als Ausbildungsclub nachhaltig gefestigt. Der Sportchef hat ein stärkeres Argument als Geld, wenn er mit einem Spieler verhandelt: Versuch es bei uns. Wir geben dir statt viel Geld eine wichtige Rolle und es ist möglich, dass du es bei uns bis ins Nationalteam oder sogar bis in die NHL schaffst.
Finanziell bringt der Verlust von André Heim nur bedingt etwas: Die NHL bezahlt zwar im Rahmen des Transferabkommens eine einmalige Entschädigung von rund 250'000 Franken. Aber weil Ambri vom Bund als einziges Team in der National League die ganze Corona-Finanzhilfe abgerufen hat, müssen die Löhne über 148'000 Franken durchschnittlich gekürzt werden. Die Lohnsumme sinkt nun zwar. Aber der Durchschnitt verändert sich nicht signifikant.
Die Ausbildungs-Erfolgsquote von Ambri ist erstaunlich. In den letzten Jahren haben es neben André Heim unter Cheftrainer Luca Cereda auch Marco Müller (heute Lugano) und Yanik Burren (nächste Saison Biel) vom anderorts vergessenen und übersehenen Junior zum Nationalspieler gebracht. Ein Wechsel über die Kultur- und Sprachgrenze in den Süden kann sich also für einen jungen Spieler aus der Deutschschweiz sehr wohl lohnen.
Es gibt für Ambris Ausbildungserfolg gerade von Deutschschweizern eine soziologische Erklärung: Der Brauch, nach der Schule auch im Sinne einer persönlichen Weiterentwicklung für ein Jahr ins Welschland zu wechseln, wird heute im richtigen Leben nicht mehr so wie früher gepflegt. Der Wechsel von der Deutschschweiz nach Ambri hat möglicherweise eine ähnliche Wirkung wie einst das «Welschlandjahr»: Wer in der Deutschschweiz transferiert – von Bern nach Zürich, von Zug nach Bern, von Zürich nach Zug –, bleibt sozusagen mit einem Bein immer noch zu Hause.
Ein Transfer über (bzw. durch) den Gotthard nach Ambri in eine andere Sprachregion und mit einem mühseligeren Weg hin und zurück bringt hingegen einen tiefgreifenderen Wechsel des Lebensmittelpunktes mit sich und dürfte den Lerneffekt erhöhen.
Nicht nur auf dem Eis und nicht nur in jungen Jahren. Marc Gautschi, als Sportchef der Architekt von Servettes erstem Meistertitel, beendete seine Karriere 2018 in Ambri. Im Spätherbst seines spielerischen Schaffens gehörte er fünf Jahre lang zu Ambris Leitwölfen. Von Ambri zügelte er in die Organisation von Servette. Dort hat er offensichtlich das, was er in Ambri von Luca Cereda, Paolo Duca und – wer weiss – vielleicht sogar vom grossen Vorsitzenden Filippo Lombardi gelernt hat, höchst erfolgreich umgesetzt.
Nun die Chance in der NHL.. alles richtig gemacht!!!
Erstaunlich heisst es: andernorts vergessen und übersehen. Ich hatte jetzt schon einen Seitenhieb nach Bern erwartet, die mit andernorts gemeint sind. Alle drei machten dieselbe Erfahrung.